Wie Digitalisierung das Klima belastet

Hinter scheinbar virtuellen Produkten und Dienstleistungen stecken aufwendige Infrastrukturen. Gegen den allgemeinen Trend nimmt der Energieverbrauch durch digitale Technologien deshalb immer weiter zu.

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Wie Digitalisierung das Klima belastet

(Bild: Flickr / Maxim Mogilevskiy / CO2 / cc by-sa 2.0)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Sascha Mattke
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Sie verzichten auf Flugreisen, weil Sie etwas für das Klima tun wollen? Hören Sie lieber auf, sich ständig Videos auf YouTube anzuschauen.

Diese Empfehlung ist in mehrerlei Hinsicht nicht ganz korrekt, hat aber einen wahren Kern: Laut einer neuen Studie des französischen Think-Tanks The Shift Project ist der Digitalsektor für einen rapide wachsenden Anteil der weltweiten Emissionen von Treibhausgasen verantwortlich. Und anders als in der Wirtschaft insgesamt, deren Energieintensität im weltweiten Durchschnitt abnimmt, erhöht sie sich bei Information und Kommunikation (IuK) weiter deutlich.

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Selbst pro produzierter Einheit wird also nicht etwa weniger Energie benötigt, sondern Jahr für Jahr mehr. Der direkte Energieverbrauch von 1 Dollar, der in Digitaltechnologien investiert wird, hat sich laut der Studie seit 2010 um 37 Prozent erhöht; entsprechend steigen auch die Treibhausgas-Emissionen.

Diese Zahlen sind, wie das Team selbst schreibt, mit erheblicher Unsicherheit behaftet. Weder auf weltweiter noch auf nationaler Ebene gibt es direkte Messungen zum digitalen Energieverbrauch, und was an Untersuchungen dazu vorliegt, basiert oft „auf älteren Studien, ohne sie miteinander abzugleichen und ohne die Grenzen ihrer Validität zu beachten“. Mangels Messwerten verwendete das Shift-Team ein Modell der schwedischen Forscher Anders Andrae und Tomas Edler aus dem Jahr 2015, das sie mit aktuelleren Daten und Prognosen fütterten.

Das Ergebnis dieser Analysen ist bemerkenswert. Im kleinen Maßstab verbrauchen zehn Minuten Video-Streaming in HD auf einem Smartphone ebenso viel Energie wie ein Herd mit 2 Kilowatt Leistung, der fünf Minuten lang auf höchster Stufe läuft. Zusammengenommen sind Digitaltechnologien dadurch mittlerweile für 3,7 Prozent der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich – während auf den zivilen Luftverkehr in 2018 lediglich 2 Prozent der Emissionen entfielen. Je nach Szenario könnte der Digital-Anteil an den weltweiten Emissionen bis 2025 auf mehr als 8 Prozent steigen, was höher wäre als der aktuelle Anteil von Autos und Motorrädern.

„Der erhebliche Fußabdruck von Digitaltechnologie wird von ihren Nutzern stark unterschätzt, was an der Miniaturisierung der Geräte und der Unsichtbarkeit der verwendeten Infrastrukturen liegt. Verstärkt wird dieses Phänomen durch die verbreitete Verfügbarkeit von Dienstleistungen in der Cloud, die dafür sorgt, dass die physische Realität der Nutzung noch schwieriger wahrnehmbar wird“, schreiben die Shift-Forscher.

Denn zum Beispiel beim YouTube-Schauen auf dem Smartphone muss nicht nur der geringe Stromverbrauch des kleinen Geräts selbst berücksichtigt werden, sondern auch der bei seiner Produktion. Hinzu kommt noch der Energiebedarf für die Netzwerke und Datenzentren zur Speicherung und Auslieferung der Inhalte; nicht einmal mit eingerechnet wurde in dem Modell der Energie-Aufwand für die Entsorgung all dieser Technik nach dem Ende ihrer Nutzungsdauer.

In die Berechnungen zur Gesamtbelastung durch Digitaltechnologie bezogen die Shift-Forscher Smartphones und Laptops samt der dahinter liegenden Dienst-Infrastrukturen ebenso ein wie intelligente Fernseher und die zunehmende Zahl von kleinen, vernetzten Geräten wie Haus-Sensoren, die sich immer weiter verbreiten. Hinzu kommt noch der industrielle Bereich, in dem mittlerweile ebenfalls massiv auf Vernetzung gesetzt wird.

Als wichtigsten Treiber für den steigenden digitalen Energiebedarf sieht das Shift-Team aber „die Explosion von Video-Anwendungen“ und die zunehmende Neigung zum Kauf von Geräten mit kurzer Lebensdauer. Denn den Großteil ihrer Emissionen verursachen Smartphones und Co. nicht bei der Nutzung, sondern bei der Produktion – und je früher sie ausgetauscht werden, desto schlechter für das Klima.

Insgesamt widersprechen die Inhalte der Studie der verbreiteten Annahme, die zunehmende Digitalisierung des Lebens sei auf irgendeine Weise gut für die Umwelt, weil weniger physische Güter produziert und konsumiert werden. Es sei „illusorisch, von vornherein davon auszugehen, dass die globale Energiebilanz einer Digitalisierung (von Dienstleistungen, Unternehmen oder Ländern) auf jeden Fall vorteilhaft oder auch nur neutral sein wird“, erklären die Forscher.

Der derzeitige Trend zum „digitalen Überkonsum“ sei nicht nachhaltig, halten sie fest. Dies gelte umso mehr, als bislang nicht zu erkennen sei, dass Digitalisierung in den vergangenen fünf Jahren positive Auswirkungen auf Wachstum oder Produktivität gehabt hätte.

(sma)