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König Artus: Sinnbild der Ritterzeit

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Held und Messias König Artus - ein Mythos im Dienst der Krone

Ein Geistlicher schuf den sagenhaften König Artus - ein Mythos im Dienste der englischen Krone.

Was für ein Typ: schwertschwingend, übermächtig und so was von gerecht! So reitet er durch das kollektive Gedächtnis der Briten, und so wurde er zum globalen Helden, Raum und Zeit überwindend. Mit seinen Rittern der Tafelrunde kämpft er sich durch Romane, bezwingt seine Gegner auf der Kinoleinwand, liebt seine Königin im Musical am Hof von Camelot und springt durchs Computerspiel wie ein älterer Bruder von Harry Potter. Ausgestattet mit tollen Requisiten, dem Heiligen Gral und dem weltweit ersten runden Tisch.

Das ist König Artus: Ikone der englischen Geschichte und unausrottbar populäres Sinnbild der Ritterzeit, die lange vorbei ist und doch nicht nur im Kinderzimmer weiterlebt. Männer mit Helmen und Lanzen auf Pferden, geschützt durch hängende Metallschürzen.

Was für eine Geschichte. Dieser König, die Briten nennen ihn Arthur, ist gestorben, gefallen nach blutigem Kampf - und doch lebendig geblieben. Seine Gebeine wurden nie gefunden. Aber seine Anhänger glauben an seine Rückkehr von der Insel Avalon, auf die er schwer verwundet gebracht wurde, sie glauben an ihn wie an einen Messias.

Die Spurensuche beginnt bei Geoffrey von Monmouth

Gab es ihn wirklich? Oder ist er nur ein Mythos, eine Gestalt, die geschaffen wurde, um der englischen Königsgeschichte einen unbesiegbaren, wahrlich sagenhaften Überkönig zu schenken?

Die Spurensuche beginnt bei dem Mann, der im Mittelalter die Geschichte schrieb, am Schreibpult des ersten Artus-Evangelisten, der heute vermutlich Chefentwickler einer Firma für Computerspiele wäre. Ein "Genius", so schwärmen Literaturwissenschaftler von ihm und haben wohl recht. Denn das Wesen, das er geschaffen hat, Artus, ist ein Mensch, und dennoch heilig, transzendent, unfassbar.

Über diesen Mythosmacher, Geoffrey von Monmouth, ist nur wenig bekannt: Ein Geistlicher, der in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts lebte, zum Bischof von St. Asaph in Wales ernannt wurde und als Vertrauter des englischen Königshauses galt. "Monmouth", wenigstens das ein konkreter Hinweis: So heißt eine Stadt am Südostrand von Wales. Aus dieser Gegend stammte vermutlich Geoffrey, der wohl vom Königshaus den Anstoß bekam, die Flicken englischer Geschichte zu einem prächtigen Großen und Ganzen zu verweben.

Geoffrey gab sein Bestes, um 1138 erschien seine "Geschichte der Könige Britanniens", sie wurde zu einem der bedeutendsten Werke des Mittelalters. Reale Orte und Menschen hatte der Autor darin kunstvoll mit Legenden verwoben. In dieses Netz der historischen Fiktion platzierte er König Artus, für dessen Existenz schon damals nicht allzu viel sprach. Aber Autor Geoffrey scheint die Wahrheit weniger im Blick gehabt zu haben als die Wirkung seines Textes.

Geoffreys Umgang mit Quellen gilt - gelinde gesagt - als großzügig. Raffiniert verschleierte dieser dichtende Chronist, auf welche Informationen er sich stützte; Hatte er die "History of the Britons" gelesen, die dem frühmittelalterlichen Mönch Nennius zugeschrieben wird? Darin ist erstmals von einem englischen Heerführer Arthur die Rede, der im 5. Jahrhundert gegen die Sachsen gekämpft und triumphal gesiegt haben soll. In Quellen des 5. Jahrhunderts selbst taucht Artus jedoch nicht auf.

Geoffreys Hinweise sind dürftig: Manches stamme aus dem Buch eines Erzdiakons aus Oxford, anderes aus nicht näher benannten Schriften und allerlei aus Erzählungen. Der Autor musste deshalb den Vorwurf ertragen, "Lügengeschichten" geschrieben zu haben.

Ihn kümmerte das kaum. Befördert von der Obrigkeit, verbreitete sich sein Werk rasch, wurde übersetzt in viele Sprachen und in verschiedenen Handschriften angefertigt. Dieses Buch schuf das, was man heute wohl "corporate identity" nennen würde, eine Heldengeschichte, in die sich die Könige Englands einreihen konnten so wie Jesus in den Stammbaum Abrahams und Davids.

Artus wird zum Schrecken anderer Herrscher

Artus ist der Mann, der es mit allen Feinden Britanniens aufnimmt - mit den von außen eindringenden Barbaren ebenso wie mit den inneren, charakterlosen Rivalen. Der junge Feldherr bezwingt die sächsischen Horden, Schlacht um Schlacht, bewaffnet mit einem Schild, auf dem ein Bildnis der Jungfrau Maria prangt. Dieses Symbol des Christentums verbindet Geoffrey mit der reichlich unchristlichen Figur des hilfreichen Magiers Merlin und dem geheimnisvollen Schwert Excalibur, geschmiedet auf der Insel Avalon. Die überraschende Dreieinigkeit von heidnischem Schwert, christlichem Schild und zauberhaftem Merlin macht Artus (und das soll heißen: England) unschlagbar: Hinfort ihr Sachsen, Schotten und Pikten! Friede für Britannia!

Und dann ist da noch diese "angeborene Güte", die Artus die Zuneigung der Untertanen sichert, sodass er noch flugs Island und Irland unterwerfen kann. Danach hat er die nötige Muße, allerlei ausgezeichnete Männer um sich zu scharen, einen Kreis, der später "die Ritter der Tafelrunde" genannt wird.

Derart aufgerüstet wird Artus zum Schrecken anderer Herrscher. Sie beginnen, vor Britannia "zu zittern", schreibt Geoffrey. Und im Innern herrschte unter Arthur angeblich eine "Kultiviertheit", ein nicht zu überbietender "Reichtum an Zierrat und höfischen Manieren ...", und natürlich sie, die schöne Königin Guinevere.

Er scheint unaufhaltbar: Ritterlich kultiviert bezwingt Artus noch allerlei andere Bösewichte und um ein Haar sogar Rom, wäre ihm da nicht die Heimatfront durcheinandergeraten. Der Konkurrent greift an, dazu ein Ehebruch der miesen Sorte. Artus zieht erneut in die Schlacht, bezwingt seinen Gegner, aber wird schwer verletzt. Es folgt die letzte große Reise, zur Wundversorgung wird er auf die mythische Insel Avalon gebracht. Stirbt er dort, oder ruht er nur? In Anspielung auf den christlichen Auferstehungsglauben wird seine Rückkehr in Aussicht gestellt. Von der Insel wird er kommen, zu richten, die Lebenden und die Toten... England erhält mit dieser Geschichte ein Bindemittel, ein Stück Selbstbeschwörung. Modern fast verbindet der Autor den inneren Zustand einer Gesellschaft mit der Fähigkeit zur äußeren Abwehr. Geoffrey hat hier nach Überzeugung der Historiker seine Erwartungen an die Obrigkeit einfließen lassen.

Der Geistliche sei über die Streitigkeiten, die dem Tod Heinrichs I. (1068 bis 1135) folgten, so entsetzt gewesen, vermuten die Experten, dass er sich einen neuen Heinrich herbeisehnte, und als dieser nicht erschien, habe er ihn sich selbst geschaffen - in Artus. Dabei überträgt der Autor erstaunlich nonchalant die christliche Chance zur Auferstehung auf den weltlichen Herrscher von Britannia. Erstaunlich, dass die Kirche solchen Mischkult durchgehen ließ.

Erfundenes und Gefundenes verschmolzen zu einer neuen Realität

Die fantasievolle Erzählung indes macht den Helden zur Projektionsfläche des jeweiligen Zeitgeistes späterer Jahrhunderte. Die vermeintliche Aktualität schuf eine Glaubwürdigkeit, die historische Wahrheit ersetzte.

Dennoch wurden die mangelnden Beweise gelegentlich zur Schwachstelle, wenn Herrscher sich der Artus-Legende bedienen wollten. Dann musste etwas Handfestes her, am besten die Knochen, auch wenn dies mit dem insinuierten Weiterleben des Helden etwas kollidiert.

Ende des 12. Jahrhunderts beginnen in dem von Feuer fast vollkommen zerstörten Kloster von Glastonbury Aufbauarbeiten. König Heinrich II. (1133 bis 1189) lässt die Gebäude rekonstruieren, in denen Artus seine letzte Ruhe gefunden haben soll - in der Mythologie von Glastonbury wird der Ort oft mit Avalon gleichgesetzt. Davon will der König durch Visionen erfahren haben, einen göttlichen Wink sozusagen.

Die Artus-Figur lieferte ihm Bindekraft und eine Faszination, die ihn erhöhte und ihm nützlich war, indem er den Staatsgedanken mit einer moralischen Leitfigur verband. Eifrig ließ Heinrich II. deshalb Artus-Chroniken zusammenstellen und Artus-Dichtungen verfassen. Er setzte sich in Bezug zum sagenhaften Urahn und legitimierte so seine Herrschaft in einer vermeintlich glorreichen Ahnenreihe. Die Traditionskette diente ihm auch in der Rivalität zu Frankreich, wo der höfische Dichter Chrétien de Troyes schon bald die europäische Mode der Artus-Romane begründen sollte.

Heinrichs Sohn Richard I., genannt "Löwenherz", wollte da nicht hintanstehen. In der Ära dieses Königs, der selbst ein Schwert mit Namen Excalibur trug, fanden in Glastonbury archäologische Grabungen statt - mit Erfolg: Das angebliche Grab von Artus wurde entdeckt. So entstand eine Artus-Pilgerstätte, die viele englische Könige nach ihm aufsuchten. Erfundenes und Gefundenes verschmolzen hier zu einer neuen Realität.

Über Jahrhunderte blieb das Phantom Artus die bestimmende Figur bei Hofe, wurde zu einer Hauptfigur höfischer Feste. Artus-Szenen wurden aufgeführt, Turniere und Tafelrunden inszeniert. Der Kult ging so weit, dass Heinrich VII. (1485 bis 1509) Winchester zum Geburtsort seines Sohnes bestimmte, weil dort angeblich die "Tafelrunde" zusammengekommen war. Heinrich VIII. ließ sich selbst - etwas dreist - in Gestalt König Artus' auf eine gigantische hölzerne Platte malen, die den Kreis der "Ritter der Tafelrunde" symbolisiert.

Artus lebt

Artus ist dabei mehr als ein Element der Folklore, er macht Politik. Denn mit dem Hinweis auf den Artus-Mythos wurde das Streben Englands nach Dominanz in Europa gerechtfertigt. Sein vermeintlich großes Reich sollte sogar Gebietsansprüche der Krone legitimieren - auf Wales und Schottland. Eduard I. (1272 bis 1307) schrieb im Mai 1301 einen Brief an den Papst und begründete darin seinen Anspruch auf Artus' Erbe. Die Schotten wehrten sich originell und systemkonform. Sie wiesen die Ansprüche unter Hinweis auf einen anderen Teil der Artus-Legende zurück: Artus sei im Ehebruch gezeugt worden und habe deshalb keinen Erbanspruch - und England ebenso wenig.

Welcher König mochte sich nicht in eine Linie mit ihm stellen? Ganz offen beschreibt der Verleger des Werks "Geschichten von König Artus" von Sir Thomas Malory 1485 die Auftragslage: Viele edle Herren Englands seien zu ihm gekommen, und hätten ihn aufgefordert, die Geschichte des Grals und des christlichen König Artus zu drucken. Er habe entgegnet, manche Leute meinten, Artus habe doch gar nicht existiert, und alle Bücher über ihn seien bloße Erfindung. Da sei ihm erwidert worden, dass Artus von Christen und Heiden gleichermaßen geschätzt werde und Chronisten sehr wohl von ihm berichtet hätten. Und so druckte der Verleger nach einer Handschrift von Malory.

Das Epos wirkte bis ins Viktorianische Zeitalter, als der Artus-Stoff erneut in Mode kam, als fantastischer Gegenentwurf zur hochtechnisierten Moderne. Sogar im königlichen Ankleidezimmer im Palast von Westminster dienen, von Königin Viktoria beauftragt, Szenen aus der Artus-Sage zur Wanddekoration.

Bis heute hat kein Historiker den Beweis seiner Existenz erbracht. Doch wahr oder nicht wahr, das ist längst nicht mehr die Frage: Artus lebt.