Das Gedicht “Morgenphantasie” wurde 1782 von Friedrich Schiller verfasst. Es ist der Stilepoche des Sturm und Drang zuzuordnen und beschreibt einen Morgen in der Natur und gleichzeitig die Stagnation des lyrischen Ichs.
historischer Hintergrund
Das Gedicht muss vor dem Hintergrund der Biographie Schilllers betrachtet werden: Schiller war zu der damaligen Zeit als Militärarzt eingesetzt. Die Arbeit bedrückte ihn, er hatte kaum Zeit, sich der Literatur zu widmen. Er war von den Befehlen des ihm vorgesetzten Fürsten abhängig, er hatte so gut wie keine Selbstständigkeit.
erste Strophen
In den ersten drei Strophen werden die Eindrücke eines Morgens in der Natur beschrieben. Mit allen Sinnen wird der Morgen von dem lyrischen Ich erlebt (Hören: Vers 5 “Lied”, V. 16 “Säuseln”; Sehen: V. 2, 10 “Licht”; Riechen: V. 21 “Düfte”, Fühlen: V. 16 “Kühle”). Die Bescheibung des Morgens ist gut nachvollziehbar und sehr bildlich. Das lyr. Ich personifiziert und duzt die Natur (V. 11) was die enge Bindung verdeutlicht. Die Natur wird positiv und verherrlichend dargestellt (V. 12: “Erwärmend”; V. 20: “Schmeicheln”; V. 21 “lachende Flur”; V. 4 “goldene Flammen”).
zweite Strophe
Ab der zweiten Strophe meldet sich das lyr. Ich persönlich zu Wort (Ausruf V. 10). Es preist die Natur und verehrt sie. Das verehren der Natur ist ein typisches Merkmal vom Sturm und Drang, welches vor allem bei dem Pantheisten Goethe zu finden ist. Die Natur wird als lebendiges Gegenüber gesehen.
vierte Strophe
Der Naturbeschreibung wird in der Strophe vier die Stadt entgegengesetzt. Die Stadt ist im Gegensatz zur Natur laut, schmutzig und anstrengend (Das Gedicht wurde in der Zeit der beginnenden Industrialisierung geschrieben.). Dem “lebendigen Hauch” (V. 1) stehen die Rauchwolken gegenüber, dem Säuseln (V. 16) das Stampfen, Wiehern und Knirschen (V. 23). Die lachende Flur (V. 21) wird zum ächzenden Tal (V. 26). Hier findet sich ein typisches Merkmal Schillers: Es findet sich in den Versen nicht nur eine Beschreibung, sondern auch eine unterschwellige Wertung.
fünfte Strophe
Daraufhin besinnt sich das lyr. Ich nochmal zurück auf die Natur (darauf folgende Strophe). Die Natur lebt auch, wie die Stadt. Diese Lebendigkeit wird dadurch unterstützt, dass das komplette Gedicht in der Gegenwart geschrieben ist.
sechste Strophe
In der sechsten Strophe wird die Suche nach dem Frieden thematisiert. Das lyr. Ich stellt sich die Frage, wie es den inneren Frieden finden kann und stellt fest, das dies nicht in der Natur sein kann (V. 35 “Für mich nur ein Grab!”). Mit dem inneren Frieden ist nach meiner Meinung die Selbstständigkeit und Eigenverantwortung gemeint, nach der das lyr. Ich strebt. Es möchte der Abhängigkeit und dem Zwang entfliehen. Die Natur(betrachtung) bringt dem lyr. Ich keinen Fortschritt, sondern bedeutet Stagnation. Es sucht deshalb einen neuen, anderen Ausweg aus der Abhängigkeit.
In der letzten Strophe findet sich ein Ausruf, der an die Natur gerichtet ist. Die Natur soll Bestand haben, obwohl die Welt schon verloren ist (V. 39 “erstorbne Welt”). Das lyr. Ich hat schon aufgegeben (für inneren Frieden/Freiheit) zu kämpfen (V. 41 “Totenflur”). Das Gedicht kann auch als (Alb-)Traum verstanden werden (Titel und V. 43), aus dem das lyr. Ich aufwachen möchte.
formelle Analyse
In dem Gedicht werden in unregelmäßigen Abständen Paar- und Kreuzreime verwendet, um die Dynamik der Naturbeschreibung zu unterstreichen. Diese Dynamik wird auch durch die Enjambements (z. B. V. 16-17, 20-21) und die direkten Aufforderungen an die Natur (z. B. V. 10, 15) unterstützt.